Symposium „Feminismus. Wissenschaft. Dialog.“

Wie divers ist Wissenschaft und welche Rolle spielen Frauen in der Forschung?   

Wie funktioniert Feminismus in der Wissenschaft und wie beeinflusst er Gegenstände der Forschung?    

Wie können wissenschaftliche Fragestellungen und Praxis von Gleichstellung profitieren?    

Wer engagiert sich für eine diversere Forschungskultur?

Am 02. Dezember 2023 veranstaltete das Student Network for Open Science das eintägige Symposium “Feminismus. Wissenschaft. Dialog” mit ca. 60 Teilnehmenden im Einstein Center Digital Future in Berlin und damit zugleich das erste große in-person Event von NOS.

In Impulsvorträgen, einer (Fishbowl-)Podiumsdiskussion und mehreren Workshops mit insgesamt 8 externen Referentinnen stellten wir die oben genannten Fragen in den Fokus und schufen einen Raum für einen offenen, kritischen Diskurs, für den vertiefenden Austausch und zur persönlichen Vernetzung.


Zusammenfassung

Eine Zusammenfassung der zentralen Inhalte von Mara Ruwe, Mitorganisatorin und Redakteurin unseres langjährigen Partner-Journals anwesenheitsnotiz:

Franziska Sattler-Morrison (Science Educator) brachte uns mit ihrem Eröffnungsvortrag auf einen Stand: Frauen in der Forschung sind in Deutschland unterrepräsentiert: Mit 29,4 Prozent liegen wir unter dem EU-Durchschnitt (33,7 Prozent) und etwa gleichauf mit den USA (29,9 Prozent). An Frauen mangelt es v.a. in Führungspositionen in der Wissenschaft; beim Übergang zur Promotion und zur Habilitation lässt sich ein deutlicher Rückgang feststellen. Dieses Verhältnis, leaky pipeline genannt, wird an wohl keinem Symposiums-Gast vorübergegangen sein: Der Begriff fiel nicht nur in jedem der vier Vormittagsvorträge, drei der Vortraganden zeigten dessen Visualisierung auf ihren Präsentationsfolien.

Abb.: Visualisierung der leaky pipeline, erstellt vom Kompetenzzentrum Frauen in Wissenschaft und Forschung, Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften.

Vom Begriff leaky pipeline ist Franziska Sattler-Morrison kein Fan und generell ist es eine Herausforderung, mit der Sprache, die Phänomene kritisieren möchte, diese nicht unbeabsichtigt zu reproduzieren und zementieren: Wenn wir bspw. darüber sprechen, dass »weiblich« konnotierte Forschungsthemen weniger Prestige haben als »männlich« konnotierte Themen, ist es doch sehr produktiv, genauer hinzuschauen, was diese Felder jeweils auszeichnet und andere Wörter dafür zu finden, statt diese Gegenüberstellung unkommentiert stehenzulassen.

Mit der leakypipeline-Dynamik ist auch Anne-Sophie Waag (WUMAN – Feministisches Wissenschaftsnetzwerk) bestens vertraut: Während der Promotion hatte sie mit Co-Promovendinnen das feministische Wissenschaftsnetzwerk WUMAN gegründet. Nach dem Abschluss ist sie wie ein Großteil ihrer Netzwerk-Partnerinnen aus der Wissenschaft ausgestiegen. In ihrem Vortrag hat sie betont, wie wichtig Strukturen sind, die Gleichberechtigung und Sichtbarkeit von marginalisierten Gruppen verbindlich verankern, damit deren Gewährleistung nicht mit einzelnen Personen und deren persönlichen Bereitschaften und Überzeugungen steht oder fällt (sprich: es sollte nicht nur an den wenigen Frauen in Machtpositionen sein, andere Frauen zu fördern). Anne-Sophie Waags pragmatische Tipps zum Aufbauen eines Netzwerks an Unis: klein und lokal anfangen und dann gemeinsam bei bereits eingerichteten Stellen (z.B. Gleichstellungs- und Diversitätsbeauftrage) Unterstützung finden.

Open Science, im Gegensatz zu Open Access, so erklärte Laura Rothfritz (Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft, HU Berlin) den Unterschied, setzt sich nicht erst am Punkt der Wissenschaftsverbreitung mit Fragen der Zugangsmöglichkeiten und -Barrieren auseinander, sondern bereits davor: im Stadium der Wissenschaftsproduktion. Laura Rothfritz warnte davor, dass ihr Vortrag der »Downer« des Tages würde und beschrieb unser gegenwärtiges Wissenschaftssystem als geprägt von benachteiligenden Strukturen und undurchsichtigen Crediting-Sitten (»Manche verbringen ihre ganze wissenschaftliche Karriere als ›et al.‹«). Felix Hambitzer (Gründungsmitglied von NOS) und Laura Rothfritz standen sich in der Diskussion unaufgelöst gegenüber: Während Felix Hambitzer für einen hoffnungsvolleren, optimistischeren Ausblick plädierte, war Laura Rothfritz durch ihre Erfahrungen eher skeptisch gestimmt. Ihrer Meinung nach werden sich OpenScience-Strukturen in Zukunft etablieren; unser aktuelles System werde sich in den nächsten zwanzig Jahren aber kaum signifikant ändern. Open Science sei kein funktionales Äquivalent, sondern eine Ergänzung, für dieses aktuelle System.

Klaudija Daugelaites (Deutsches Krebsforschungszentrum Heidelberg) Vortrag über geschlechtersensible Versorgung und Forschung, mit Beispielen aus dem Bereich sex-sensitive biomedical research löste ein besonders angeregte Diskussion aus, v.a. unter den vielen Teilnehmer:innen aus dem lebenswissenschaftlichen Bereich. Verschiedene Floskeln zur Rechtfertigung von androzentrischer biomedizinischer Forschung (bspw. werde der weibliche Zyklus bei Untersuchungen des menschlichen Hormonsystem häufig als verkomplizierend ausgeklammert) waren einigen bekannt. Der Vortrag schloss aber mit einem optimistischen Hinweis auf die Etablierung und Verbreitung der SAGER (Sex and Gender Equity in Research) Guidelines, die sexuellen und geschlechtsspezifischen Vorurteilen bei der Durchführung von Forschungsarbeiten entgegenwirken sollen (bspw. ist die Forschung an Krankheiten, die primär Frauen betreffen, finanziell unterfördert).

In den nachmittäglichen Workshops von Conan Doyle (Crediting in Science), Nina Fischer (Feministischer Schreibworkshop), Christine Kerr (Karriere mit Kind), Mina Lahlal (Feminismus in der Lehre) und Menina Morenike Ugwuoke (Intersektionaler Feminismus) haben wir in Kleingruppen Erfahrungen ausgetauscht und einzelne bestimmte Aspekte aus der Schnittmenge Feminismus – Wissenschaft näher beleuchtet. Mina Lahlals Workshop, an dem ich teilgenommen habe, schloss in der intersektionalen, hierarchiekritischen Diskussionsrunde an Themen des Vormittags an: Entscheidend für die Auseinandersetzung mit dem Begriff Feminismus ist sein breitgefasstes Verständnis: Feministisch sollten wir uns nicht nur für die Gleichberechtigungen von Frauen (FLINTA*), sondern auch im Bewusstsein des Zusammenwirkens von unterschiedlichen Diskriminierungsmerkmalen und im Bewusstsein der eigenen Privilegien einsetzen. Gerade für diesen Austausch waren die von Teilnehmer:innen selbst geleiteten und inoffiziellen Gespräche auf und um das Symposium – Beisammensitzen in Kaffeepausen und beim Mittagessen, niedrigschwellige und erfahrungsoffene Workshops, vortragskommentierendes Flüstern zwischen Sitznachbar:innen – besonders wichtig.


Das Symposium war ein wichtiger Austausch, der aufzeigt, was noch alles zu tun ist, aber auch viel Mut und Optimismus stiftet, dass Veränderung gemeinsam möglich ist!

Dass systematischer Wandel gemeinsam möglich ist und bottom-up initiiert werden kann, ist die DNA des Student Network for Open Science und so werden wir uns dieses Themas auch weiterhin annehmen!

Das Orga-Team unter Leitung von Tanja He, Yorck Aretz und Felix Hambitzer umfasste Mara Ruwe, Diana Becker, Clara Weber und Anne Neumann. Vor Ort halfen Jaron Steiner, Magdalena Bolsinger, Robin Wensky, Dario von Wedel und Felix Raschke.

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